Es ist immer ein neuer Anfang, wenn etwas Neues beginnt. Man hat eine Idee, unterhält sich mit anderen darüber und dann sagt jemand: „Das ist eine gute Idee. Mach es einfach.“
Mein Gatte und ich, wir waren früher viel unterwegs. Wir sind alte Globetrotter und Radwanderer. Als ich nach dem Schlaganfall nicht mehr die Kraft hatte mein Mountainbike zu bewegen, kaufte ich mir ein Elektrofahrrad.
Nach einer sehr langen und nicht immer einfachen Trainingszeit, beschloss ich allein auf Radwandern zu gehen. Es war an der Zeit, herauszufinden wo meine Stärken und Schwächen sind. Eine Bekannte stammt aus Maulbronn, in Schwaben. Bei ihr betrachtete ich immer einen wunderschönen Fotokalender, mit Bildern aus dem dortigen Kloster. „Besuche es doch einmal,“ sagte man zu mir. Und so entstand die Idee in den Pfingstferien 2012 allein nach Maulbronn zu fahren.
Ich habe insgesamt drei Radreisen noch allein unternommen und unterwegs Tagebuch geschrieben. Ich hoffe, dass es für Sie unterhaltsam ist. Doch vor allem, möchte ich Menschen in ähnlicher Situation Mut machen, mit etwas Neuem zu beginnen. Lassen Sie sich nicht unterkriegen, das Schicksal schlägt gerne Mal einen Haken, es liegt an uns den geraden Weg wiederzufinden.
Pfingstferien 2012: Unterwegs nach Maulbronn
Tag 1: Wie weit ist es nach Rügland?
Für einen Radwanderer hat das Wort „Umleitung“ oft eine andere Bedeutung, als für den Autofahrer. Umleitungen sind: Umwege, mehr Mühsal, mehr Autoverkehr und Berge, welche man nicht eingeplante.
Für mich war das heute ein Start mit Umleitungen ohne Ende. Gerne hätte ich vom Biberttal-Radweg mehr gesehen. Die wenigen zerrissenen Wegstrecken, die ich befuhr, waren sehr schön. Die Sonne meinte es gut mit mir und der Wind schob mich oft noch sanft an. Die Wegstrecken wanden sich neben den Bibertfluß durch das Tal. Saftige grüne Wiesen (Regen ist schon für was gut) wechselten sich mit Schatten spendenden Bäumen ab. Der Weg ist mit feinen Schotter bestreut, was bei trockenem Wetter gut zu befahren ist. Zwischendurch ist er auch asphaltiert. An einer Stelle war der Asphalt sogar so frisch, dass er noch rauchte. Freundliche Arbeiter spannten gerade ein Absperrband über den Weg. Ein paar Meter weiter, wäre mir das Rad unter dem Hinterteil weggeschmolzen. Nach vielen Umleitungen, eine führte mich auf eine verkehrsreiche Bundesstraße, kam ich nach Unterbibert.
Unterwegs hat man mir von einem radfreundlichen Gasthof erzählt. Doch dieser Gasthof war ein Gasthaus ohne Übernachtungsmöglichkeiten und man schickte mich weiter ins 2 Kilometer entfernte Rügland. Doch aus 2 wurden 4 Kilometer und eine 11% Steigung gab es als Zugabe dazu.
Der Gasthof „Roter Ochse“ versteckt sich in Rügland in der Ortsmitte, hinter einem steilen Buckel. Selbst die Schiebehilfe meines Elektrorades verweigerte mir anfangs die Hilfe. Doch die Anstrengung lohnte sich. Ein feiner Gasthof, eine freundliche Wirtsfamilie und gutes Essen, das den Gaumen verwöhnt und auf der Zunge zergeht. Es sind“Nora-Schlemmertage“, Radeln und Schlemmen im Frankenland – da bin ich hier gerade zur richtigen Zeit.
Ein kleiner Spaziergang durch den Ort rundet den Abend ab. Zur Kirche sind es nur ein paar Schritte den Berg hinab. Orgelmusik lockte mich ins Innere. Es ist eine Bilderkirche, wunderschöne Malereien zieren ihre Wände. Hinter der Kirche versteckt sich noch eine kleine Wasserburg, welche Anno 1298 erbaut wurde.
Am Abend sitze ich noch in der Gaststube. Freitags probt der Männergesangsverein, mit Klavierbegleitung, im Nebenzimmer. Die Herren wünschen mir eine gute Nacht und eine gute Weiterfahrt am nächsten Tag. Ihr letztes Lied wird mein treuer Reisebegleiter.
So nimm denn meine Hände und führe mich,
bis an mein selig Ende und ewiglich.
Ich kann allein nicht gehen, nicht einen Schritt.
Wo du willst geh’n und stehen,
dort nimm mich mit.
Tag 2: Bei Maja in Schrotzberg
Hier in Schrotzberg traf ich auf den fränkischen Jakobsweg. Heute Nacht schlafe ich bei Maja, sie hat zwei Gästezimmer und stellt diese der christlichen Jugend zur Verfügung, welche hier im Ort die Jakobspilger betreut. Nebenan ist ein italienisches Restaurant, dessen Küchenlärm nicht zu überhören ist. Ich habe mit Majas zweitem Gast, einem Radwanderer aus Speyer, dort zu Abend gegessen. „Dieses Lokal sei zwar gut besucht, aber dies läge wohl daran, dass es das Einzige im Ort sei,“ meinte mein Tischnachbarn. Ich denke an die Worte eines Freundes: „Der Hunger treib’s nei und zum scheißen taug’s!“ Danke Peter, das hast du vor langer Zeit vortrefflich formuliert.
Nun sitze ich hier am Schreibtisch und denke über den Tag nach. Heute Morgen war von der Bibert nichts mehr zu sehen. Nur der Radweg heißt noch so, wenn er denn zu finden war. Die kleinen Radwegschildchen sind sparsam verteilt. Oft gabelt sich der unbeschilderte Weg. Vielleicht sollte der Wanderer hier eine Münze werfen – Kopf oder Zahl, rechts oder links. Schotterwege mit großen Steinen erschwerten das Vorwärtskommen und ich entschied mich für die Landstraße. In einer kleinen Ortschaft treffe ich auf Radwanderer. Auf Rennrädern unterwegs nach Prag. Vier Tage haben sie Zeit, na dann strampelt mal fleißig Jungs. Ich war schon mit dem Rad in Prag, grüßt die Karlsbrücke und trinkt ein Bier auf mein Wohl bei eurer Ankunft.
Mein heutiges Übernachtungsziel wäre eigentlich Rothenburg ob der Tauber gewesen. Dort ist dieses Wochenende historisches Festspiel und die Stadt ist voller Touristen. Als ich die waffenbewehrten Landsknechte vor den verschlossenen Stadttor sah, gab ich die Hoffnung auf Quartier auf. Jedoch will ich die Stadt zu Fuß durchqueren und dies, wenn möglichst ohne Wegzoll an die Torwache zu bezahlen. Also spielte ich ihr Spiel mit. Als Wanderin bat ich um Einlass und um ein Quartier für die Nacht. Bot meine Dienste an: Kochen im Feldlager, Singen und Tanzen, das Vieh versorgen und daneben gleich mein Lager aufschlagen. „Lasst sie passieren!“, riefen die umstehenden Leute und lachten. Und tatsächlich, die Landsknechte traten zur Seite und ich schob stolz mein Rad durch das Tor. Leider waren meine Künste und Dienste nicht gefragt und ich verließ eine Stunde später die Stadt, ohne ein bezahlbares Quartier. Musik hätte mir heute Abend schon gefallen. Etwas traurig schwang ich mich in den Sattel und fuhr Richtung Schrotzberg.
Ich fragte in jedem Dorf nach einem Gasthof, doch vergebens. Dass ich in Schrotzberg ein Nachtlager fand, verdanke ich einer älteren Dame. Sie saß in ihrem Garten, hörte mir zu, telefonierte mit dem Pilgerhaus und reservierte mir ein Zimmer. Sie reichte mir noch frisches Wasser und wollte mir noch ein belegtes Brot zubereiten, das ich jedoch dankend ablehnte. Guten Mutes und eine Sorge weniger stand ich eine Stunde später vor dem Stadtplan in Schrotzberg, wo ein älterer Herr auf mich wartete und mich zum Pilgerhaus führte. Maja war schon da und erwartete ihre Gäste.
Tag 3: Forchtenberg
Mit einem reichhaltigen Frühstück gestärkt, viel Herzlichkeit und guten Wünschen zogen wir singend unserer Wege. Pilger sind ein sangesfreudiges Volk.
Es ist Sonntag und die Fahrt auf der Landstraße ohne Lastwagen sehr angenehm. Endlose Hügel bis zum Horizont. Plötzlich öffnet sich das Jagsttal vor mir und ich fuhr in Serpentinen ins Tal hinab. Mein Blick schweifte in die Ferne, in ein paar Kilometern verlasse ich dieses Tal auf der anderen Seite schon wieder.
Schön waren die wenigen Kilometern entlang der Jagst und bald wand sich die Straße den steilen Berg hoch. Treten, treten und nichts dabei denken, nur den Rhythmus halten. Bei jedem Pedaltritt hörte ich das Surfen des Motors. Endlich bin ich oben am Berg und inmitten eines Ortes. Bis jetzt waren alle Dörfer menschenleer, geparkte Autos standen vor den Häusern. Die Gasthöfe geschlossen und nur ein paar Touristen spazierten am Fluss entlang. Wo sind die Bewohner, sitzen sie alle in ihren Stuben und überprüfen ihren Status bei Facebook? Am Spielplatz rastete ich auf einer Bank. Erschrocken zuckte ich zusammen, eine Kinderstimme schmetterte mir ein lautes „Hallo“ entgegen. Ein kleiner Junge rumpelte mit seiner Seifenkiste an mir vorbei. Ich lachte und grüßte zurück, doch noch Leben hier und fuhr beruhigt weiter. Ein paar Kilometer weiter fuhr ich hinab ins Tal des Flusses Kocher, in Richtung Neckar.
Tag 4: Heilbronn am Neckar
Das heutige Frühstück war unbestritten das Beste und erlesenste Frühstück meiner ganzen Reise. Dafür, dass die Pension noch eine halbe Baustelle ist und erst in ein paar Tagen öffnet, bin ich auf’s Herzlichste bewirtet worden.
Guten Mutes benutzte ich heute die Landstraße. Erst kurz vor Friedrichshall traf ich wieder auf den Radweg. Die Sonne wärmt, doch der Wind blies mir hämisch ins Gesich, ich vermisste meinen Freund den Rückenwind. Die Wetterlage ändert sich, Westwind mit Unwetter voraus. Je näher ich dem Neckar kam, desto mehr Ausflügler bevölkerten den Weg. Richtung Friedrichshall gab es drei verschiedene Wege an einer Weggabelung und als ich drei Radfahrer nach dem besten Weg fragte, erhielt ich drei Antworten. Ich entschied mich für den kürzesten Weg, kehrte aber nach einigen Kilometern wieder um. Eine meiner Grundregeln heißt: Ich durchfahre keinen Wald. Lieber doch weiter am Fluss entlang. Kurze Zeit später, wurde ich von einer spielenden Kinderbande angehalten, den „Kocherhexenkindern“ und um Wegzoll erleichtert. Lachend erbat ich mir ein Foto und versprach mit hochheilig Schwur, dieses weder ins Internet zu stellen, noch an die Presse weiter zugeben. Ich bezahlte vier €uro Wegzoll und stieg wieder in den Sattel. Das Gefühl, dass heute die Zeit knapp wird, ließ mich nicht mehr los und tatsächlich verlor ich viel Zeit in Friedrichshall auf der Suche nach dem richtigen Weg zum Neckar.
In einem Café vertrieb ich mir den Ärger mit Kaffee und Kuchen. Eine, ein wenig neugierige, jedoch sehr freundliche Dame setzte sich zu mir. Wir plaudernden ein wenig, ich stillte ihre Neugier und dann schilderte sie mir tatsächlich den richtigen Weg zum Neckar. „Fahren sie zum Bahnhof, überqueren sie die beiden Bahnbrücken und schieben sie dann ihr Rad vorsichtig den sehr steilen Weg zum Ufer des Neckars hinab.“ Ich bedanke mich, nahm Abschied und eine kurze Zeit später sah ich den Neckar vor mir. Es war schon 16 Uhr, ein paar Kilometer fahre ich noch, dachte ich. Doch es sollten viel mehr werden.
„Willkommen in Neckarsulm“ und zwei Kilometer später ein neues Schild: „Auf Wiedersehen in Neckarsulm!“ Wo ist die Stadt? Ich sah Kraftwerke, bestaunte und durchquerte Hafenanlagen und befand mich plötzlich, laut hier aufgestellten Stadtplans, in Heilbronn. Doch wieder war von einer Stadt nichts zu sehen. Auf dem Stadtplan warben viele Hotels um Gäste, doch wo finde ich die Stadtmitte. Eine italienische Großfamilie übernahm den Lotsendienst und brachte mich in die Nähe des Bahnhofes, wo sich viele Hotels befanden. Ich entschied mich für das „Bed and Bike“ Hotel Ibis, das nur ein paar Schritte von der Fußgängerzone entfernt lag. Einen guten Service gab es hier, ich fuhr mich dem Rad direkt in die Hotelhalle. Ein preiswertes Zimmer für 59 €uro, inklusive Stellplatz im Radkeller, Radlerherz was willst du mehr!
Jetzt sitze ich gemütlich in einem kleinen Restaurant am Flussufer und lasse mir Maultäschle schmecken. Gegenüber des Lokals befindet sich eine Musikkneipe mit Live-Musik am Abend. Soweit ich das beurteilen kann, werde ich dort heute Abend der älteste Gast sein. Noch in der Nacht sendete mir mein Gatte noch eine SMS und teilte mir die Änderung der Wetterlage mit, ich hab’s geahnt.